Warum haben sich die Menschen weiterentwickelt?

Der Mensch hat seit der Altsteinzeit fortwährende Innovationszyklen in Bewegung gesetzt. Wir bezeichnen das heute als „Fortschritt“. Was in der Evolution Jahrmillionen dauert, geschieht in der menschlichen Kulturentwicklung sozusagen im Zeitraffer, die Gesetzmäßigkeiten jedoch sind ähnlich. Wichtig dabei ist, sich von der Vorstellung zu lösen, dass es immer einen „turning point“ gegeben haben muss, von dem aus Entwicklungen linear verlaufen. Diskontinuität, Unter- und Abbrüche von Entwicklungen und auch Konvergenzen und Parallelentwicklungen sind die Regel.
Der erste Abschnitt der Kultur-, Technik-, Religions- und Gesellschaftsentwicklungen geschah im Umfeld der aneignenden Lebensgrundlage von Jägern und Sammlern und damit in direkter Abhängigkeit von der Natur und den klimatischen Rahmenbedingungen (z. B. Eiszeiten). Bekleidung, Wohnräume (Zelte, Hütten) oder Jagdwaffen wurden entwickelt und optimiert, aber auch komplexe Gesellschaftsformen und religiöse Vorstellungen.
In einigen Regionen Asiens, Südamerikas, Australiens und Afrikas „überlebten“ diese Lebensformen bis heute. Solange die natürliche Umwelt sich nicht veränderte, kamen die Menschen mit den einmal entwickelten Systemen problemlos zurecht und mussten daran wenig ändern.
Anders die Menschen in Zonen, die häufigen Klimaschwankungen ausgesetzt waren oder es heute noch sind. Hier erzwingt eine optimale Anpassung an die wechselnden Umweltbedingungen fortlaufend Innovationen („Stillstand ist Rückschritt“). Individuen und Gesellschaften, die in diesen Regionen keine ausreichende Innovationsbereitschaft zeigten hatten geringere Überlebenschancen.
So erweiterten bereits vor 23.000 Jahren Jäger und Sammler der Altsteinzeit im heutigen Israel am See Genezareth ihren Speiseplan um Gräser und wildes Getreide. Grund war möglicherweise Nahrungsmittelknappheit. Im Dorf Ohalo II, das aus einfachen Hütten mit vorgelagerten Feuerstellen bestand, wurden zahlreiche Reste der Speisen dieser Menschen gefunden. Neben Fleisch von Großtieren (Gazellen) sind Eicheln, Mandeln, Pistazien, wilde Oliven, Feigen, Himbeeren und Trauben belegt.
Im heutigen Iran/Irak/Anatolien/Syrien/Israel/Palästina/Jordanien existierte nach dem Ende der Eiszeit vor ca. 13.000 Jahren im sog. Natufien eine Überflusssituation. Große, dort regelmäßig wandernde Gazellenherden ermöglichten es Jäger- und Sammlergruppen, feste Siedlungen zu errichten, von denen aus die Tiere gejagt wurden. Nach und nach jedoch verschwanden sie, wie auch in anderen Regionen große Säugetierarten dezimiert wurden oder ausstarben (z. B. das Mammut). Verantwortlich dafür: Fortschritte in der Waffentechnik (Speerschleuder, Pfeil und Bogen), ansteigende Bevölkerungsdichte, Veränderung des Klimas (Ende der Würmeiszeit und nachfolgende Dürreperiode). Damit wurden Sammelpflanzen wie wildes Getreide, Nüsse und Früchte als Nahrungsgrundlage vergleichsweise wichtiger.
Im Verlauf der Dürreperiode zu Anfang des 11. Jahrtausends v. Chr. verschwanden aber auch die meisten Wildgetreidearten (siehe Abu Hureira/Syrien, Hillmann 2001). Vom Hunger bedroht entdeckten die Jäger und Sammler, dass man Pflanzen durch Saat gezielt anbauen und verändern kann. Auf diese Weise entstanden vor rund 13.000 Jahren kultivierte Formen von Roggen, später Weizen und Gerste. Allerdings gaben die Menschen das Jagen und Sammeln nicht sofort für den Ackerbau auf. Wir wissen, dass im Verlauf des gesamten Neolithikums Jagd und Sammeln wichtig blieben, vor allem in Krisenzeiten, wenn z. B. das Getreide durch eine Missernte ausfiel oder ein Unglück wie etwa Dorfbrand das Saatgut vernichtete.
Ab 8.500 v. Chr. kann man im Vorderen Orient, im Bereich des „Fruchtbaren Halbmondes“ von planmäßig betriebener Landwirtschaft ausgehen. Ca. 500 Jahre später erfolgte die Domestikation von Tieren (Schaf, Ziege, Schwein). Sie wurden zunächst als reine Fleisch- und Felllieferanten gehalten; erst um 3.500 v. Chr. ging man dazu über, ihre Milch und Wolle zu nutzen. Um 6.000 v. Chr. wurde im Gebiet des „Fruchtbaren Halbmondes“ auch der Auerochse domestiziert. Sein Einsatz als Zugtier vor dem Pflug ermöglichte später den Übergang vom jungsteinzeitlichen Hackbau zu einer höher entwickelten Pflugbaukultur.
Durch Wanderungen größerer Gruppen verbreitete sich diese Lebensform langsam bis nach Europa auf der einen und Indien auf der anderen Seite. So zeigen Vergleiche der mitochondrialen DNA, dass die ersten indischen Bauern näher mit den Bauern aus der Levante (also dem Gebiet des „Fruchtbaren Halbmondes“) verwandt waren als mit den Jägern und Sammlern in ihrer Nachbarschaft. Ähnliches gilt für Europa, das die Ackerbauern vor 9.000 Jahren über eine noch existierende Landbrücke am Bosporus, über die großen Flussläufe und auch entlang der Mittelmeerküste aufsiedelten. In Ägypten ergänzten örtliche Jäger und Sammler ihren Speiseplan mit importierten Kulturpflanzen aus der Levante. Durch die damals noch grüne Sahara erreichte die Landwirtschaft Äthiopien, das Nigertal und das tropische Westafrika.
Domestiziertes Getreide führte zu weiteren Kultivierungen regionaler Pflanzenarten. In Indien wurden Sesam und Reis, in Europa Mohn und Hafer, in Ägypten die Maulbeerfeige und die Erdmandel, in Äthiopien Kaffee und Teff, eine Zwerghirse sowie im südlichen Westafrika Sorghum und Jamswurzel der Liste der Anbaupflanzen hinzugefügt. Ebenso domestizierte man später weitere Wildtiere, etwa den Esel in Ägypten, das Dromedar in Arabien und das Pferd in der Ukraine.
Die durch die beginnende Landwirtschaft erforderlich gewordene Arbeitsteilung war zweifelsfrei ein entscheidender Faktor für das Entstehen komplexer Gesellschaften.
In den nachfolgenden Perioden der Kupferzeit, der Bronzezeit, der Eisenzeit und der historischen Kulturen beschleunigten sich die Innovationszyklen teilweise exponentiell, unterbrochen lediglich durch Kriege, Seuchen – wie Pestepidemien des Mittelalters – oder Hungersnöte. Heute stehen wir vor der Herausforderung, dass technische und gesellschaftliche Neuerungen in einer vorher nicht gekannten Geschwindigkeit über uns kommen. Wie der Mensch damit in Zukunft umgehen wird, ist die spannendste Frage der Gegenwart. Die Archäologie weiß, dass derartige Prozesse nur allzu oft von großen Schwierigkeiten begleitet waren. Der auffälligen Zunahme von Kriegen, Hunger oder Terrorismus in heutiger Zeit stehen ständig verbesserte technische Möglichkeiten gegenüber, die es mehr Menschen als je zuvor ermöglichen, ausreichend über Nahrungsmittel, ärztliche Versorgung, Bildung etc. zu verfügen. Dies waren schon immer und bleiben bis heute die beiden unterschiedlichen Gesichter des „Fortschritts“.

Diese Frage wurde beantwortet von:
Peter Walter, Pfahlbaumuseum Unteruhldingen (DE)

Why did people continue to evolve?

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Peter Walter, Pfahlbaumuseum Unteruhldingen (DE)